Ein exklusiver Bericht über die chaotische Chat-Panne im Machtzentrum der USA, die beispiellose Schlamperei, das Totalversagen der Sicherheitskultur – und das schwindende Vertrauen in eine Regierung, die mit Pathos regiert, aber mit Protokollen hadert.
Von unserem Washington-Korrespondenten
In einem Land, das seine militärische Macht stolz zur Schau trägt und weltweit Sicherheitspartnerschaften inszeniert, hätte sich die Regierung der Vereinigten Staaten kaum ein peinlicheres Fiasko leisten können: Der investigative Journalist Jeffrey Goldberg, Chefredakteur des Magazins The Atlantic, wurde versehentlich in eine verschlüsselte Signal-Chatgruppe aufgenommen – eine Gruppe, in der einige der mächtigsten Männer der Trump-Administration militärische Pläne gegen die jemenitischen Huthi-Milizen diskutierten.
Die Affäre, die unter dem Schlagwort „Signal-Gate“ inzwischen internationale Beachtung findet, ist weit mehr als nur eine technische Panne. Sie ist ein Lehrstück über Selbstüberschätzung, Inkompetenz und die Erosion sicherheitspolitischer Standards in einem Weissen Haus, das seinen Kurs längst von institutionellen Normen entkoppelt hat.
Das Protokoll des Versagens
Goldberg, der laut eigener Aussage „überrascht und zunächst verwundert“ war, als er vertrauliche Planungen zu potenziellen Militärschlägen im Nahen Osten auf seinem Display las, machte das einzig Richtige: Er dokumentierte. Wenige Tage später veröffentlichte The Atlantic den vollständigen Chatverlauf – ungeschönt, unredigiert, mit allen diplomatischen und sicherheitspolitischen Peinlichkeiten.
Wie aus der Veröffentlichung hervorgeht, diskutierten Vizepräsident J.D. Vance, Verteidigungsminister Pete Hegseth, Aussenminister Marco Rubio und Sicherheitsberater Mike Waltz ohne Rücksicht auf Vertraulichkeit, oft mit flapsigem Ton, mögliche Angriffsszenarien, diplomatische Gegenreaktionen Irans und mediale „Spin-Strategien“. In einem besonders bemerkenswerten Moment fragt Rubio in die Runde, ob CNN oder Fox zuerst informiert werden solle – als ginge es um eine PR-Kampagne, nicht um kriegerische Handlungen.
Der Fall Mike Waltz – Bauernopfer oder Hauptverantwortlicher?
Nationaler Sicherheitsberater Mike Waltz übernahm öffentlich die Verantwortung. In einem Fox-Interview sagte er, er habe „diesen Verlierer im Chat nicht gesehen“, bezugnehmend auf Goldberg. Doch die Frage, wie ein investigativer Journalist mit bekannter Rufnummer versehentlich zu einer sicherheitspolitisch hochsensiblen Chatgruppe hinzugefügt wurde, bleibt unbeantwortet.
Waltz, ein ehemaliger Green-Beret-Offizier, besitzt zweifellos militärisches Fachwissen, doch seine Erfahrung in sensibler Kommunikation innerhalb des Regierungsapparats ist gering. Die Tatsache, dass sich solch eine Kommunikationspanne unter seiner Aufsicht ereignete, zeugt von eklatantem Kontrollverlust.
Ein Kabinett der Ahnungslosen?
Verteidigungsminister Pete Hegseth reagierte mit Trotz: In einem öffentlichen Statement bezeichnete er die Chat-Gruppe als „ungefährlich“ und die veröffentlichten Inhalte als „frei erfunden“. Diese Linie wurde auch von Trump selbst gestützt, der erklärte, es habe sich „nicht um eine ernsthafte Panne“ gehandelt.
Doch hinter dieser Fassade der Beschwichtigung verbirgt sich eine tiefere Wahrheit: Die Unfähigkeit, institutionelle Prozesse einzuhalten. Die Missachtung sicherer Kommunikationskanäle. Die Selbstgewissheit, dass Fehler keine Konsequenzen haben – sofern man sie nur entschieden dementiert.
J.D. Vance, mittlerweile Vizepräsident und einst medienwirksamer Intellektueller, gab sich in internen Kreisen überrascht, öffentlich jedoch schweigsam. Insider berichten, dass Vance bereits mehrfach auf Missstände in der internen Kommunikation hingewiesen habe – jedoch ohne Gehör. Der ehemalige Senator Marco Rubio, bekannt für seine scharfen Töne gegenüber China und Iran, hat sich bisher nicht zur Affäre geäussert. Seine diplomatische Integrität steht seither infrage.
Demokraten fordern Aufklärung – und Konsequenzen
Die Reaktion der Opposition liess nicht lange auf sich warten: Hillary Clinton sprach von einem „beispiellosen Vorgang“, der geeignet sei, die nationale Sicherheit zu gefährden. Senator Bernie Sanders forderte eine Anhörung im Senat. Alexandria Ocasio-Cortez nannte die Signal-Gruppe „eine digitale Shisha-Bar des Dilettantismus“.
In Europa wird der Vorfall mit wachsender Besorgnis verfolgt. Ein hoher EU-Beamter, der anonym bleiben möchte, sagte: „Wenn in Washingtons Zentrum der Macht solche Fehler passieren, müssen wir unsere eigenen Sicherheitsarchitekturen überdenken.“
Ein Klima der Verantwortungslosigkeit
Die Signal-Panne steht sinnbildlich für eine Regierung, die sich ihrer eigenen Macht zu sicher ist. Anstelle institutioneller Stabilität herrscht in Trumps Kabinett eine Mischung aus martialischer Selbstinszenierung und operativer Fahrlässigkeit. Das Protokoll wird ersetzt durch Chatnachrichten, Beratung durch Meme, Strategie durch spontane Wutreaktionen.
Noch gravierender ist die politische Gleichgültigkeit gegenüber dem Vorfall. Die NZZ kommentierte treffend: Die Panne schade der Regierung wohl kaum, da ihre Anhänger sich nicht für institutionelle Integrität interessieren. Diese Analyse ist ebenso nüchtern wie fatal.
Fazit: Eine Regierung am Rande der Selbstparodie
Die Vereinigten Staaten stehen nicht vor einer technischen Krise, sondern vor einem politischen Offenbarungseid. Die „Signal-Panne“ ist das Symptom einer viel tieferliegenden Pathologie: dem Verlust an Ernsthaftigkeit, Sorgfalt und strategischer Tiefe. Wenn das Weisse Haus nicht einmal in der Lage ist, Kommunikationsprotokolle zu wahren, wie kann es dann internationale Krisen souverän managen?
Der Fall Goldberg ist mehr als eine Anekdote – er ist ein Menetekel.