Steigender Spardruck bei Unternehmen: Auch anspruchsvolle Jobs werden ins Ausland abwandern

Am 23.11.2016 veröffentlichte der Kaufmännische Verband Schweiz die Studie „Offshoring und Digitalisierung: Herausforderungen für die kaufmännischen Berufe„. Gemäss dieser Studie seien mehr nicht nur einfache Backoffice-Tätigkeiten von der Auslagerung ins Ausland betroffen. Allein im kaufmännischen Bereich stehen der Studie zu Folge zwischen 30 000 und 100 000 Stellen auf dem Spiel. Und es soll noch schlimmer werden.

Die Verlagerung von Jobs ins Ausland ist neben dem Industriesektor auch im Dienstleistungsbereich weit fortgeschritten.

«Vor wenigen Jahren hätte niemand gedacht, dass sich der Trend derart beschleunigt und so viele Stellen in der Schweiz davon betroffen sind»

Charles Donkor (Personalexperte und Partner bei PwC Schweiz)

Es handelt sich dabei längst nicht mehr nur um einfachere Backoffice-Tätigkeiten. Firmen lagern zunehmend besser qualifizierte Jobs wie Planungsaufgaben oder anspruchsvolle Beratungstätigkeiten in Länder mit niedrigeren Löhnen aus.

Radiologen in Indien

Zum einen liege dies daran, dass einfache, sich wiederholende Tätigkeiten vermehrt automatisiert würden, sagt Donkor. Zum anderen seien die Beschäftigten in Niedriglohnländern immer besser qualifiziert.

Heutzutage liefern Radiologen in Indien erste Einschätzungen zu Röntgenbildern ab, Juristen in Polen tragen Material für einen Rechtsfall zusammen, und einfache Steuererklärungen werden auf den Philippinen ausgefüllt.

Betroffen von den Auslagerungen seien vor allem auch Berufe im kaufmännischen Bereich, sagt Antonio Russo, Berater für das Outsourcing von Geschäftsprozessen bei Deloitte. Laut der Studie des Kaufmännischen Verbandes (KV) Schweiz könnten 30 000 bis 100 000 Arbeitsplätze von insgesamt 590 000 Schweizer KV-Stellen ins Ausland ausgelagert werden. Welche Massnahmen die Firmen aber effektiv ergreifen werden, ist noch unklar.

Zur Zeit gibt es auch einen Trend zu Rückverlagerungen. Gründe dafür sind etwa die Qualitätsansprüche, eine schnellere Reaktionsfähigkeit oder gestiegene Produktionskosten im Niedriglohnland.

Im Dienstleistungsbereich sind laut der Studie vor allem Berufe wie Buchhalter, Controller, IT-Supporter, Callcenter-Mitarbeiter, aber auch Software-Entwickler und Programmierer gegenüber einer Verlagerung ins Ausland exponiert.

Wenig bedroht sind dagegen Aufgaben im Bereich Forschung und Entwicklung oder im Marketing und Vertrieb. Im Personalwesen zeigt sich beispielsweise, dass zwar Tätigkeiten wie die Rekrutierung neuer Mitarbeiter wenig vom sogenannten Offshoring betroffen sein dürften, aber etwa die Vorselektion von Lebensläufen oder das Erstellen von Verträgen vermehrt in Niedriglohnländern stattfinden.

Neue Berufsbilder für die Schweiz

In der Studie wird auch darauf verwiesen, dass verschiedene Untersuchungen keine deutlich negativen Folgen für die Beschäftigung im Dienstleistungssektor gezeigt haben. In der Regel sind die kurzfristige Auswirkungen negativ, längerfristig entstehen aber wieder neue, meist anspruchsvollere Tätigkeiten. Es stellt sich wohl die Frage, in welchem Ausmass dies geschehen wird. Die Studie kommt zum Schluss, dass das Pflichtenheft der hiesigen Angestellten anspruchsvoller wird und die verbleibenden Kerntätigkeiten strategische und analytische Fähigkeiten erfordern.

Die kaufmännischen Angestellten müssen sich laut Christian Zünd (Chef Kaufmännischer Verband (KV) Schweiz), zunehmend von Sachbearbeitern zu Vermittlern spezifischer Inhalte und Managern mit komplexen Aufgaben entwickeln.

Der kaufmännische Beruf werde sich wohl stark wandeln, aber auch in Zukunft gefragt bleiben. Zentral ist dabei, dass die Aus- und Weiterbildung den neuen Anforderungen angepasst wird. Neben Allgemeinwissen und Fachwissen werden Methoden- und Sozialkompetenz an Bedeutung gewinnen.

Auch noch die Digitalisierung

Dies gilt aber auch mit Blick auf den fortschreitenden Trend zu Digitalisierung und Automatisierung, der die Beschäftigungssituation und die Anforderungsprofile in ähnlicher Weise verändert wie das Offshoring und damit Mitarbeiter und Firmen vor Herausforderungen stellt. In den letzten Jahren sind durch den technologischen Fortschritt vor allem Routinetätigkeiten im Büro unter Druck geraten.

Ob sich die beiden Entwicklungen gegenseitig verstärken oder substituieren, ist unter Experten umstritten. Laut Russo eröffnet die Automatisierung eine Alternative zur Produktionsverlagerung ins Ausland.

Zudem sind die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt nicht nur negativ. Werden repetitive Arbeiten von einer Maschine übernommen, entsteht beispielsweise Raum für andere, wertschöpfungsintensivere Tätigkeiten.

Russo sieht daher in der Automatisierung und Digitalisierung eine Chance, Beschäftigung, Umsätze und Wertschöpfung im Land zu halten und zu steigern. Doch sind die Jobs erst einmal fix ausgelagert, werden sie am ehesten automatisiert und kehren daher kaum mehr in die Schweiz zurück.

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Malick S. Loum
8. Dezember 2016 16:41

Noch vor wenigen Jahren wurde prognostiziert, dass nur einfache, repetitive Tätigkeiten von der Automatisierung oder Abwanderung ins billige Ausland betroffen sein werden. Nun scheinen aber genau dieser Prognose entgegengesetzt vor allem die anspruchsvolleren Tätigkeiten davon betroffen zu sein. Tätigkeiten im handwerklichen Bereich dürften diesen Verlagerungen trotzen, dafür aber spezialisierte Tätigkeiten (im Bericht genannte Fachspezialisten wie Radiologen, Anwälte usw.) massiv unter Druck geraten. An der Beratungsfront, wo der direkte Kontakt zum Kunden und zum Markt stattfindet, ist die Gefahr der Verlagerung und (Voll-)Digitalisierung wohl am geringsten. Da ist der Kaufmännische Verband gefordert. Das KV ist eine gute Grundausbildung und die Stütze… Weiterlesen »