Es gibt Sätze, die klingen fast wie ein Versprechen. Ein Versprechen auf Fortschritt, auf Wandel, auf eine Gesellschaft, in der Herkunft, Name oder Hautfarbe keine Barrieren mehr darstellen. Ein solcher Satz fand sich jüngst in der NZZ:
„Katumba ist einer von mehreren Zürcher Politikerinnen und Politikern, die dieser Stadt in den nächsten Wahlen so etwas wie einen Obama-Moment bescheren könnten. Den Moment, ab dem die höchsten Ämter nicht mehr reserviert scheinen für Leute, die heissen und aussehen wie zu Gotthelfs Zeiten.“
Ein schöner Gedanke. Ein Satz, der Hoffnung weckt. Doch zugleich ist er das Eingeständnis eines Missstands: Die höchsten Ämter in Zürich scheinen reserviert – für eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe. Und das in einer Stadt, die sich ihrer Weltoffenheit rühmt, die stolz auf ihren kosmopolitischen Charakter ist, die Diversität feiert, zumindest rhetorisch.
Doch wer genauer hinschaut, erkennt: Das vermeintliche Bekenntnis zur Vielfalt bleibt allzu oft an der Oberfläche. Die politische Elite Zürichs, dominiert von der SP und den Grünen, ist bemerkenswert homogen. Während in London ein Sadiq Khan regiert, in Paris eine Anne Hidalgo, in Frankfurt ein Mike Josef – allesamt mit Migrationshintergrund –, bleibt Zürich erstaunlich monochrom. Und das liegt nicht nur an der konservativen Rechten. Es liegt vor allem an denjenigen, die sich als ihre progressiven Gegenspieler sehen.
Linke Parteien: Vielfalt als Marketinginstrument, nicht als Überzeugung
Linke Parteien betonen unermüdlich die Bedeutung von Vielfalt. In Kampagnen, in Wahlprogrammen, in Sonntagsreden. Sie sprechen von Inklusion, von Chancengleichheit, von einer Politik, die alle mitnimmt. Doch die Realität sieht anders aus.
In der Zürcher Stadtregierung, die von der SP dominiert wird, zeigt sich: Die Plätze an den Schalthebeln der Macht bleiben fest in den Händen einer traditionellen sozialdemokratischen Elite. Es sind die immer gleichen Namen, die immer gleichen Karrieretypen, die sich in den politischen Apparaten bewegen. Die Gewerkschafterin, die Verwaltungsangestellte, der Lehrer – sozialdemokratische Biografien, die sich über Jahrzehnte bewährt haben. Vielfalt? Ein nettes Konzept für die Parteibroschüre, aber nichts, was ernsthaft praktiziert wird.
Warum gibt es in Zürich keinen Obama-Moment?
Die Gründe sind vielschichtig. Es gibt keine institutionellen Hürden, die verhindern, dass Menschen mit Migrationshintergrund in hohe politische Ämter gelangen – keine formellen Ausschlüsse, keine rechtlichen Barrieren. Und doch bleiben sie weitgehend ausgeschlossen. Warum?
- Parteiseilschaften und geschlossene Zirkel
Die SP und die Grünen haben über Jahrzehnte Netzwerke geschaffen, die nur schwer zu durchdringen sind. Kandidaten mit Migrationshintergrund, die nicht bereits in jungen Jahren Teil dieser Strukturen waren, haben kaum eine Chance, in die höheren Positionen vorzudringen. In den internen Auswahlprozessen dominieren jene, die sich bereits im System befinden – ein System, das sich selbst reproduziert. - Vielfalt als Feigenblatt
Linke Parteien neigen dazu, einige wenige Vertreter mit Migrationshintergrund in den Vordergrund zu rücken, um sich als divers zu präsentieren. Doch das sind oft symbolische Figuren, die wenig Einfluss haben. Wer wirklich aufsteigen will, muss sich den bestehenden Strukturen anpassen – und sich von seiner Andersartigkeit möglichst wenig anmerken lassen. - Die Doppelmoral der Identitätspolitik
Während linke Parteien unermüdlich über die Notwendigkeit von Frauenquoten sprechen, bleibt eine Quote für Menschen mit Migrationshintergrund undenkbar. Frauenförderung ist en vogue, aber wer wagt es, in der SP eine Debatte über systemische Diskriminierung in den eigenen Reihen zu führen? Wer spricht offen über die strukturellen Barrieren, die verhindern, dass Zürich einen Sadiq Khan oder eine Anne Hidalgo bekommt? Niemand. - Das Problem der Deutungshoheit
Wer in linken Kreisen für echte Vielfalt eintritt, läuft Gefahr, mit den falschen Argumenten zu kommen. Denn Identitätspolitik ist ein zweischneidiges Schwert: Sie funktioniert als Mittel der Selbstvergewisserung, aber nicht als echtes Machtinstrument für Minderheiten. Ein Kandidat mit Migrationshintergrund, der sich zu stark auf seine Herkunft bezieht, wird schnell in eine Schublade gesteckt – als jemand, der „nur“ für Integrationsfragen, „nur“ für Migrationsthemen zuständig ist. Ein echter Machtanspruch? Unerwünscht.
Der Mythos der progressiven Politik
Die Linke inszeniert sich als Speerspitze des gesellschaftlichen Fortschritts. Doch diese Inszenierung hält einem Realitätscheck nicht stand.
Wer in Zürich auf eine linke Wahlveranstaltung geht, sieht dort vor allem die altbekannten Milieus: die akademische Mittelschicht, die staatsnahen Berufszweige, die urbanen Kultureliten. Diversität? Vielleicht in den Reden, aber nicht in der Zusammensetzung der Delegierten.
Wenn also in der NZZ von einem „Obama-Moment“ für Zürich die Rede ist, dann ist das nicht nur eine Hoffnung, sondern eine Anklage: Denn die Tatsache, dass ein solcher Moment erst noch kommen muss, ist der eigentliche Skandal.
Was muss sich ändern?
Wer echte Vielfalt in der Politik will, muss über die folgenden Punkte sprechen:
- Transparente Rekrutierungsprozesse
Wie werden Kandidaten ausgewählt? Wer entscheidet darüber? Und warum landen immer wieder dieselben sozialen Gruppen an der Spitze der Parteien? - Förderungspolitik für Migranten in der Politik
Es braucht gezielte Massnahmen, um Nachwuchspolitiker mit Migrationshintergrund zu unterstützen. Mentoring-Programme, Förderstrukturen – nicht als Feigenblatt, sondern als ernstgemeinte Strategie. - Aufbrechen der linken Filterblasen
Es muss Schluss sein mit der Selbstzufriedenheit der Linken. Wer Vielfalt predigt, aber nicht lebt, verliert an Glaubwürdigkeit. Linke Parteien müssen sich der Frage stellen, warum sie in ihren eigenen Reihen so wenig Diversität zulassen.
Ein Appell an die Leser: Wo stehen Sie?
Haben Sie das Gefühl, in der Schweizer Politik vertreten zu sein? Sehen Sie sich in den politischen Entscheidungsträgern wieder? Oder haben Sie selbst erlebt, wie schwer es ist, in den Machtstrukturen dieses Landes voranzukommen, wenn man nicht in das traditionelle Schema passt?
Teilen Sie Ihre Meinung. Denn echte Vielfalt beginnt nicht mit Parteiprogrammen – sie beginnt mit einer ehrlichen Debatte.